Die Altersmedizin strebt kontinuierlich danach, innovative Ansätze zur Linderung von Leiden und zur Verbesserung des funktionellen Status sowie der Lebensqualität älterer Menschen zu erforschen. In diesem Kontext rückt eine neue Studie in den Fokus, die sich mit den potenziellen therapeutischen Effekten von Cannabis bei älteren Menschen befasst. Sie möchte das Verständnis für Cannabis als Therapieoption im Kontext der Altersmedizin vertiefen und potenzielle Anwendungsgebiete für ältere Menschen identifizieren.

Die ältere Bevölkerung leidet häufig an Erkrankungen wie chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, Tremor, Spastizität, Unruhe, Übelkeit, Erbrechen und Appetitlosigkeit. Die herkömmliche medikamentöse Behandlung dieser Symptome birgt oft erhebliche Risiken schwerwiegender Nebenwirkungen, die die Gesundheit der Patienten häufig gefährden können. Hier könnte die Anwendung von medizinischem Cannabis (CAM¹) eine vielversprechende Lösung bieten. Die Erkenntnisse von Abuhasira R deuten darauf hin, dass Cannabis das Potenzial hat, den Einsatz herkömmlicher Medikamente zu reduzieren(1, 2). Zusätzlich könnte Cannabis auch in der Palliativmedizin² als nützlich erachtet werden. Bisher ist medizinisches Cannabis nicht die erste Wahl bei der Behandlung dieser Patientengruppe. Dennoch steigt der Konsum von medizinischem Cannabis unter älteren Erwachsenen an(3). So lag bei einer Studie, bei der anhand von 10.000 Patienten die medizinische Cannabis-Patientenpopulation in Israel bestimmt wurde, das Durchschnittsalter bei 54 Jahren (4)Chronische Schmerzen sind eine der häufigsten Indikationen für die Verschreibung von medizinischem Cannabis. 

Das Ziel der Studie von Abuhasira besteht darin, ein pragmatisches Behandlungsprotokoll für medizinisches Cannabis bei älteren Erwachsenen vorzustellen(1). Es wurden prospektiv konsekutive Patienten im Alter von über 65 Jahren im Zeitraum von April 2017 bis Oktober 2018 betrachtet, die mit medizinischem Cannabis in Israel behandelt wurden. Die Studie umfasste insgesamt 184 Teilnehmer, wobei Frauen mit 63,6 % die Mehrheit ausmachten. Die Probanden bewegten sich im Durchschnittsalter von 81,2 Jahren, wobei das Medianalter bei 82 Jahren lag.

Im betrachteten Patientenkollektiv lag eine hohe Compliance³ vor. Nach der sechsmonatigen Cannabis-Behandlung setzten 58,1 % der Patienten ihre Therapie fort. Dies unterstreicht die Akzeptanz sowie die Zufriedenheit mit der CAM1-Behandlung. Beeindruckende 84,8 % der Probanden berichteten über eine Verbesserung ihres Allgemeinzustands. Die hohe Adhärenz⁴ sowie Verbesserung der Lebensqualität bestätigt sich ebenfalls in eine weitere Studie aus Israel  (4). Die Patienten zeigten sich nicht nur zufrieden mit der Behandlung, sondern betonten auch positive Auswirkungen auf ihre allgemeine Gesundheit. Die unerwünschten Ereignisse waren mit 33,6 % zwar vorhanden, jedoch dominiert von vergleichsweise milden Nebenwirkungen wie Schwindel und Schläfrigkeit. 

Die Studie unterstreicht die Bedeutung der Vorsicht, insbesondere im Umgang mit älteren Erwachsenen aufgrund von Polypharmazie, pharmakokinetischen Veränderungen und erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. Die Prinzipien „imum non nocere“⁵ werden betont. Hier liegt der Fokus auf der Sicherheit der Behandlung. Zwei grundlegende Prinzipien stehen im Mittelpunkt: Die langsame Titration, also die behutsame Anpassung der Dosierung, und die kontinuierliche Überwachung. Durch diese Herangehensweise wird nicht nur die Verträglichkeit der Therapie maximiert, sondern auch frühzeitig auf mögliche Veränderungen im Gesundheitszustand reagiert. Diese klare Betonung der Sicherheit unterstreicht nicht nur die vielversprechenden Ergebnisse, sondern auch die verantwortungsbewusste Anwendung von CAM¹ bei älteren Patienten. Die Studie betont, dass es keine absoluten Kontraindikationen⁶ für die Anwendung von medizinischem Cannabis bei älteren Erwachsenen gibt. Dennoch wird nachdrücklich dazu geraten, in bestimmten Fällen besonders vorsichtig zu sein. Personen mit schweren kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder einem kürzlich erlittenen schweren Myokardinfarkt sollten die Anwendung von medizinischem Cannabis in Erwägung ziehen. Ebenso wird geraten, Patienten mit psychotischen Begleiterkrankungen oder einer Vorgeschichte von Abhängigkeiten vor der Anwendung zu prüfen. Besondere Aufmerksamkeit ist auch bei Personen mit Gangunsicherheit und Beeinträchtigungen des Nervensystems geboten. Die Empfehlungen unterstreichen somit die Wichtigkeit einer individuellen Nutzen-Risiko-Analyse und einer differenzierten Herangehensweise an die Anwendung von medizinischem Cannabis, insbesondere bei Patienten mit spezifischen gesundheitlichen Risiken. 

Die vorliegende Studie zur Anwendung von medizinischem Cannabis bei älteren Erwachsenen hinterlässt einen positiven Eindruck, insbesondere durch die hohe Therapietreue der Patienten und die von 84,8% der Patienten beschriebene Verbesserung des Gesundheitszustandes. Diese Ergebnisse unterstreichen nicht nur das Potenzial von medizinischem Cannabis in der Altersmedizin, sondern heben auch die positive Resonanz und Zufriedenheit der behandelten Patienten hervor. 

Die hohe Therapietreue der Teilnehmer zeigt nicht nur die Akzeptanz, sondern auch die Kontinuität dieser innovativen Behandlungsform. Die beeindruckende Verbesserung des Gesundheitszustandes bei über 80% der Probanden legt nahe, dass medizinisches Cannabis eine bedeutende Rolle bei der Linderung von Beschwerden älterer Menschen spielen kann.  

Diese vielversprechenden Ergebnisse werfen ein optimistisches Licht auf die Zukunft der Altersmedizin und ermutigen zu weiteren Untersuchungen und Entwicklungen im Bereich der medizinischen Anwendung von Cannabis, insbesondere bei älteren Patienten. 

Glossar

  1. CAM: Cannabisarzneimitteln

  2. Palliativmedizin: Ganzheitliche Versorgung von Patienten mit schweren Krankheiten, konzentriert auf Symptomlinderung, Lebensqualität und emotionale Unterstützung, ohne zwangsläufig auf Heilung abzuzielen. 

  3. Compliance: Bereitschaft und Fähigkeit eines Patienten, die ärztlichen Anweisungen hinsichtlich Medikamenteneinnahme, Therapien und Lebensstiländerungen zu befolgen.

  4. Adhärenz: aktive und freiwillige Einhaltung von ärztlichen Anweisungen durch Patienten im Hinblick auf Medikamenteneinnahme, Therapiepläne, und Verhaltensänderungen.  

  5. Imum non nocere: Zuerst einmal nicht schaden

  6.  Kontraindikationen: sind Umstände, Zustände oder Faktoren, die gegen eine bestimmte      medizinische Behandlung sprechen 

Literaturverzeichnis

  1. Abuhasira R, Schleider LB, Mechoulam R, Novack V. Epidemiological characteristics, safety and efficacy of medical cannabis in the elderly. Eur J Intern Med. 2018;49:44-50.

     

  2. Abuhasira R, Shbiro L, Landschaft Y. Medical use of cannabis and cannabinoids containing products – Regulations in Europe and North America. Eur J Intern Med. 2018;49:2-6.

     

  3. Reynolds IR, Fixen DR, Parnes BL, Lum HD, Shanbhag P, Church S, et al. Characteristics and Patterns of Marijuana Use in Community-Dwelling Older Adults. J Am Geriatr Soc. 2018;66(11):2167-71.

     

  4. Bar-Lev Schleider L, Mechoulam R, Sikorin I, Naftali T, Novack V. Adherence, Safety, and Effectiveness of Medical Cannabis and Epidemiological Characteristics of the Patient Population: A Prospective Study. Front Med (Lausanne). 2022;9:827849.

  5. Bar-Lev Schleider L, Mechoulam R, Sikorin I, Naftali T, Novack V. Adherence, Safety, and Effectiveness of Medical Cannabis and Epidemiological Characteristics of the Patient Population: A Prospective Study. Front Med (Lausanne). 2022

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